Die Überschrift weist darauf hin, daß diese Rubrik unseres Gemeindebriefes nicht der Information sondern der Besinnung dienen soll.
Der Besinnung auf das, was wir als evangelische Kirche sind und wozu wir da sind. Dazu gehört nun auch die Besinnung auf die Geschichte, die den Zusammenhang mit der Tradition festhält.
Wir sind nämlich nicht die Ersten und Einzigen auf der Welt und schon gar nicht der Nabel der Welt. Die Besinnung auf die Geschichte schützt also vor einer verfehlten Selbstwahrnehmung, nämlich dem Hang zur selbstgefälligen Nabelschau.
Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben
Bleib im Dunkeln unerfahren
Mag von Tag zu Tage leben
(Goethe)
Der alte Goethe könnte recht haben, die Besinnung auf die Geschichte macht frei und hellsichtig.
Man gewinnt den distanzierten Blick für die Gegenwart, und das hilft zur Selbsterkenntnis. Denn Geschichte ist nicht nur etwas Vergangenes, das man als eine Vorstufe oder einen Gegensatz zu einer sich immer weiter und höher entwickelten Welt betrachtet, sondern die Beschäftigung mit der Geschichte hilft uns, uns selbst zu verstehen.
Es ist nämlich unsere Geschichte. Wir können aus der Geschichte lernen, wenn ihre Wirkung nicht naiv abgeleugnet wird und sie nicht aus dem kulturellen Gedächtnis verbannt wird. Freiheit des Denkens und Freiheit im Umgang mit der Vergangenheit und von den Lasten der Vergangenheit gibt es nur durch positive und kritische Aneignung. Kulturelle Aneignung wäre unter diesem Gesichtspunkt bei uns in der Kirche kein Kampfbegriff sondern eine Beschreibung dessen, was ja schon immer geschieht durch die Besinnung auf die Frage, woher wir kommen und welche Bedeutung das fürs Leben hat.
Diese Beschäftigung bewirkt keinen persönlichen Glauben aber immerhin könnte sie zum Verständnis beitragen für das, was durch die Kirche verkündigt wurde und wird. Zu solchem Verständnis soll auch der Konfirmandenunterricht beitragen, der ja etwas lehren aber nicht bekehren soll.
In der DDR, die ja auch schon Geschichte ist, soll sich irgendwo folgendes zugetragen haben:
Ein SED-Kulturfunktionär hatte den Kindern eingeredet, vor der Teilnahme am Konfirmandenunterricht den Pastor zu fragen: „Haben Sie Gott schon einmal gesehen?“ Und wenn er mit „Nein“ antwortet, sollten sie sagen: „Gut, dann kommen wir später wieder.“
Es gibt viele Fragen: dumme, unbequeme, kluge, impertinente und naive. Fragen ist erlaubt, Fragen zu stellen oft sogar geboten. Wir sollten uns in unserer Kirche bemühen, keine Frage ohne Antwort zu lassen, nur sollten wir die Antworten nicht den Zufälligkeiten unserer eigenen Einfälle und des Zeitgeistes überlassen, sondern uns besinnen auf das, was uns durch unsere Geschichte mitgegeben ist. Dafür haben wir die Bibel, die übrigens zuweilen auch zu den richtigen und wichtigen Fragen anleitet.
Die großen Antworten stehen fest, sie sind gegeben von Gott in Jesus Christus. Das allerdings ist eine Auskunft des Glaubens, der nicht Voraussetzung für die Teilnahme am Gottesdienst oder am Unterricht ist, aber manchmal Folge. In der Geschichte gar nicht so selten.
Pastor Johannes Meyer